Deutschland steht vor einer Zäsur: Nach dem Abgasskandal droht nun die nächste Krise für Millionen Autofahrer. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig erklärt die von Volkswagen und anderen Herstellern eingesetzten Software-Updates für unzulässig. Damit wackelt die rechtliche Grundlage, auf der seit Jahren Millionen Diesel in Deutschland unterwegs sind. Betroffen sind nicht nur VW-Besitzer, sondern Fahrer fast aller großen Marken – insgesamt rund 7,8 Millionen Fahrzeuge.
Die Rolle der Software-Updates
Nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals 2015 wurden Millionen betroffene Fahrzeuge in die Werkstätten gerufen. Dort erhielten sie ein Software-Update, das die Abgaswerte auf dem Prüfstand verbessern sollte. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) genehmigte diese Updates und versah sie mit einem offiziellen Stempel, was vielen Autofahrern Sicherheit vermittelte.
Kern der Technik ist das sogenannte Thermofenster: Bei kühlen Temperaturen wird die Abgasreinigung stark eingeschränkt, angeblich um Motorschäden zu vermeiden. Doch die Richter in Schleswig sehen darin eine unzulässige Abschalteinrichtung. Damit ist die Maßnahme, die eigentlich zur Schadensbegrenzung gedacht war, selbst rechtswidrig.
Umweltrecht vor Motorschutz
Die Argumentation der Hersteller, wonach ohne Thermofenster Motoren Schaden nehmen könnten, überzeugte das Gericht nicht. Umweltrecht habe Vorrang, so das Urteil. Der Europäische Gerichtshof hatte bereits 2022 ähnlich entschieden, nun folgte die Bestätigung durch ein deutsches Oberverwaltungsgericht.
Für Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist das Urteil ein Erfolg. Sie fordert seit Jahren strengere Regeln für Diesel und sieht sich nun bestätigt. Ziel sei es, Millionen Fahrzeuge nachzurüsten – oder im Zweifel stillzulegen. Doch beides ist problematisch: Nachrüstungen sind bei vielen Modellen technisch kaum möglich oder mit enormen Kosten verbunden. Stilllegungen wiederum würden für Millionen Menschen den Verlust ihres Fahrzeugs bedeuten.
Welche Autos sind betroffen?
Betroffen sind Diesel mit den Abgasnormen Euro 5 sowie Euro 6a bis 6c. Sie machen einen erheblichen Teil des aktuellen Bestands in Deutschland aus. Die Palette reicht von VW, Audi, Skoda und Seat über BMW, Mercedes und Opel bis hin zu internationalen Marken wie Toyota, Volvo, Renault oder Fiat. Experten gehen davon aus, dass zwischen 7,8 und 10 Millionen Fahrzeuge unter das Urteil fallen könnten.
Für Autofahrer bedeutet das: Wer eine dieser Normen im Fahrzeugschein stehen hat, muss damit rechnen, dass das eigene Auto perspektivisch nicht mehr genutzt werden darf. Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, doch es gilt als Musterfall, der weitreichende Folgen haben dürfte.
Welche Optionen haben Diesel-Besitzer?
Noch herrscht keine akute Handlungsnot. Fahrzeuge mit Euro 5 oder Euro 6a–c dürfen weiterhin fahren, da das Urteil nicht endgültig ist. Doch die Unsicherheit wächst – auch beim KBA, das unter Druck steht, die Zulassungen zu überprüfen.
- Nachrüstung: Kaum realistisch, da bei vielen Modellen keine technische Lösung existiert. Zudem würde sie oft zu höherem Verbrauch und kürzerer Haltbarkeit führen.
- Rückgabe: Möglich, aber kompliziert. Wer sein Auto zurückgeben möchte, muss mit Abzügen für die bisherige Nutzung rechnen. Zahlreiche Kanzleien bereiten entsprechende Klagen vor.
- Abwarten: Für viele Fahrer bleibt zunächst nur, Ruhe zu bewahren, den eigenen Fahrzeugschein zu prüfen und mögliche Rückrufe genau zu beobachten.
Signal für die Autoindustrie
Das Urteil zeigt einmal mehr die tiefen Strukturprobleme der deutschen Autoindustrie. Nach dem Diesel-Skandal hofften viele, mit Software-Updates sei das Thema erledigt. Stattdessen droht nun eine juristische und wirtschaftliche Kettenreaktion. Sollte es tatsächlich zu massenhaften Stilllegungen kommen, wären nicht nur Millionen Autofahrer betroffen – auch Händler, Werkstätten und ganze Regionen stünden vor enormen Herausforderungen.
Klar ist: Der Diesel, einst das Rückgrat deutscher Ingenieurskunst, gerät immer stärker unter Druck. Mit diesem Urteil rückt ein mögliches Ende des Diesel-Zeitalters in Deutschland in greifbare Nähe.






